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07. Jul 2011 Warum ich Gemüsekisten-Man nicht lieb hab.
Eigentlich sollte alles so einfach sein mit mir und Gemüsekisten-Man. Einmal wöchentlich sollte er biologisch angebautes, saisonales und bevorzugt regionales Obst und Gemüse in eine Kiste packen, passende Rezepte dazulegen und mir in die gierigen Händchen drücken, auf dass alles proximal meines Tellerrandes stetig mit neuen Geschmackserlebnissen gefüllt werden würde. Ein nur augenscheinlich hürdeloses Unterfangen, wie sich herausstellte, denn: Gemüsekisten-Man treibt mich zum Wahnsinn.
Es begann damit, dass ich die Worte Ich hol die Kiste selber ab!
in rosmarinschwangere Bioladenluft sprach. Schließlich befinden sich Gemüsekisten-Mans Markträumlichkeiten in der direkten Nachbarschaft, und so ein bisschen Bewegung passt ja auch wie gemalt zu einem nachhaltigen Ernährungskonzept. Leider stellte sich in den Folgewochen schnell heraus, dass man unter diesen Umständen auch von mir erwartete, dass ich mehr als nur die Kiste kaufte – selbst wenn ich bereits mit allen Gütern des täglichen Bedarfs ausgestattet war. Gemüsekisten-Mans Olle quittierte mein unbeschwertes Danke, nein, wirklich nur die Kiste
jedenfalls stets mit ausgesprochen miesepetriger Mundwinkelakrobatik.
Dann, es muss die unglückselige Woche 5 gewesen sein, befand sich ein wahnsinnig exotisches Gemüse in der Kiste, von dem ich wusste, dass es sich um einen Import aus südamerikanischen Gefilden handeln musste. Ich nahm all meinen Mut zusammen und fragte Gemüsekisten-Man, der eben noch seiner pradabekleideten Elitekundin Kaffee-Käse aus [Bergkloster], dessen Geschmackskonzept er so dermaßen abstrus fand, dass er ihn unbedingt haben musste
schmackhaft machen wollte, nach den Gründen für diese ungewöhnliche Gemüsewahl – denn schließlich wollte ich die Kiste ja in erster Linie des biologisch-regionalen Aspektes wegen. Ich erspare Ihnen und mir die Wiedergabe des recht unerfreulichen Dialoges, der einseitig in betont jovialem Tonfall nebst ausdrücklichen Endsilbeneinsatzes geführt wurde und zu keinem anderen Ergebnis führte außer Unsere Kundschaft schätzt und möchte das so
. Aha.
Schon in der darauffolgenden Woche kam es zum offenen Eklat – denn ich besaß die Unverfrorenheit, meine Unsicherheit ob der vollständigen Bestückung der dieswöchigen Kiste zu äußern. Gemüsekisten-Mans Olle litt schlagartig unter entrüsteter Schnappatmung und begann wutschnaubend damit, den vollständigen Kisteninhalt in aller Sorgfalt und Lautstärke erneut abzuwiegen, während mich die nahe der Kasse befindlichen Miteinkäufer über ihre ökologisch völlig okayen Weidenkörbe hinweg wie einen genetisch veränderten Mistkäfer anstarrten. Ich hätte nur zu gerne mein Bedauern darüber geäußert, dass ich ihr ganzheitliches Einkaufserlebnis so empfindlich störte, war jedoch aus Schamgründen sehr an ausgiebiger Maulhaltung interessiert. Der Kisteninhalt lag mit 43 Cent nur knapp unter seinem Wert, und ich verließ fluchtartig die Lokalität – auf ewig als kleinliches Kapitalistenschwein gebrandmarkt. Ach, hätte ich doch nur geahnt, dass mich ein unschuldiges Oh, das ist ja diesmal recht übersichtlich!
und die freundliche Nachfrage Haben Sie da vielleicht etwas vergessen oder ist eines der Gemüse besonders teuer?
nachhaltig zur Persona non Grata erklären würde!
In der Folgewoche traute ich mich trotzdem wieder in die Höhle der Mittelstandsintellektuellen. Schließlich hat jeder einmal einen schlechten Tag, und hey – ich wollte doch nur das verdammte Gemüse und keinen Anschluss an den örtlichen Mutter-Erde-Betkreis mit Eloquenzbonus. Diesmal gab es ein Problem mit meiner EC-Karte, und so niedrige Beträge würde man ja eh nur sehr ungerne …
. Nachdem ich mich nachdrücklich zur Barzahlung hatte nötigen lassen, fällte ich den Entschluss, mir diesen Spießrutenlauf künftig zu ersparen und bat um Lieferung und Bankeinzug.
Am folgenden Mittwoch klingelte es kurz nach halb elf an der Türe. Ich stürzte so schnell es ging zur Gegensprechanlage und fragte mein übliches Ja bitte?
.
Stille.
Hallo?
Stille.
Hallo!?
Noch mehr Stille.
Ein paar Grübelmomente später schwante mir, dass das Gemüsekisten-Man gewesen sein musste – schließlich war mir die Lieferung für den Vormittag avisiert worden. War ich nicht schnell genug an der Tür gewesen? War er jetzt etwa weitergezogen? Oder konnte es wirklich sein …
… dass Gemüsekisten-Man seine Kiste direkt vor die Haustür gestellt hat, um ton- und grußlos, sozusagen klingelnderweise, wieder seiner geschäftigen Wege zu gehen? Zwei hinunter gehastete Etagen später bestätigte sich dieser Verdacht, und ich blieb ganz sprachlos ob dieser groben Unhöflichkeit zurück.
Anstatt also einen fliegenden Wechsel zwischen leerer und gefüllter Kiste nebst freundlichem Dreisekundenplausch vorzunehmen, fand von nun an ein anonymer Materialaustausch ohne persönlichen Kontakt vor der Haustüre statt. Und was soll’s, ich war Gemüsekisten-Man nicht einmal böse – schließlich konnte er ja auch nichts davon wissen, dass mehrfach täglich klingelnde Post- und Paketboten den Schwierigkeitsgrad dieses lustigen Klingelspielchens für mich beträchtlich erhöhten und ich bei aller jugendlichen Ungezwungenheit durchaus Wert auf ein freundliches und höfliches Miteinander lege.
Böse war ich allerdings, als die 13. Kiste, es war bereits Ende April, Erdbeeren aus Spanien enthielt – so kurz vor Beginn der heimischen Erdbeersaison! Außerdem war ich mittlerweile bis ins Mark von den Rezepten genervt, denn in all den Wochen gab es wirklich kaum eine Kreation, die ohne Milchprodukte auskam. Salatdressing? Nur mit Joghurt. Spaghetti? Nur mit einer Extraportion Ricotta. Simpelste Kartoffelsuppe? Nur mit Sahne. Wie Menschen solche Mengen an Milch und Milchprodukten zu sich nehmen können, ist mir höchst schleierhaft, und mit der Zeit kam ich nicht mal mehr auf die Idee, einen Blick auf den Kistenbeipackzettel zu werfen – klaglos, versteht sich. Und die spanischen Erdbeeren schluckte ich, klug aus Erfahrung, ebenfalls.
Fassen wir also kurz zusammen: Ich habe verziehen, dass man mich unfreundlich und herablassend behandelte, als ich eine simple Neukundenfrage stellte. Ich habe mich mit der umfassenden Unbrauchbarkeit der Rezepte abgefunden. Ich habe akzeptiert, dass der regionale Aspekt nur eine Nebenrolle spielt und ich spanisches Gemüse essen muss, obwohl es auch hier vor Ort Saison hat. Ich habe verziehen, dass Gemüsekisten-Man sein schnelles Vorankommen wichtiger scheint, als die Einhaltung gängiger Minimalumgangsformen. Ich habe die Gemüsekiste Woche für Woche abgelichtet, mich an der Frische der Produkte erfreut und alle Nahrungsmittel mit Herz zubereitet. Aber Gemüsekisten-Man wäre nicht Gemüsekisten-Man, wenn er meinen Langmut nicht erneut auf die Probe stellen würde, denn: Seit ein paar Wochen klingelt er nicht mehr.
Beim ersten Mal dachte ich noch, dass es sich nur um eine Verspätung handeln würde, und stieg gegen Mittag stirnrunzelnd die Treppen herab. Ob nicht vielleicht doch …? Und siehe da! Da stand die Kiste, mit den wundervollsten Sachen bestückt, die bei rund 25 Grad Außentemperatur langsam aber sicher ihre Spannkraft verloren.
Beim zweiten Mal entdeckte ich die Kiste, als ich zufällig einen vollen Wäschekorb in den Keller transportierte.
Beim dritten Mal brachte der Mann die Kiste nach der Arbeit mit nach oben, nachdem ihr Inhalt den ganzen Tag bei über 30 Grad langsam vor sich hingegart hatte.
Als ich am Folgetag telefonisch darum bat, doch in Zukunft wieder zu klingeln, zeigte man sich erstaunt und versicherte mir, Gemüsekisten-Man würde selbstverständlich klingeln! Meinen Hinweis würde man jedoch trotzdem weitergeben.
Nächster Mittwoch: Kein Klingeln. Dafür aber ein Mann, der sich nur noch schwer davon abhalten ließ, das Abo direkt und ohne jede Umschweife unter reichlicher Verwendung ehrlichster Fäkalsprache zu kündigen. Aber dann, der darauffolgende Mittwoch, der Mittwoch letzter Woche, meine Damen und Herren, Sie werden es nicht glauben! Ich jedenfalls barst öffentlich geradezu vor Begeisterung:
Er hatte geklingelt! Hurra! Die Sachlage war völlig klar: Gemüsekisten-Man war sicherlich nur einer Verwechselung erlegen, natürlich würde er jetzt wieder verlässlich klingeln und mich jeden Mittwoch mit einer Kiste frischer Agrarprodukte so glücklich machen, wie es ihm im Rahmen seiner selbstgefälligen Natur nur möglich ist.
Der gestrige Mittwoch machte aber all meine Hoffnungen zunichte, denn – ich wünschte wirklich, ich hätte eine schönere Pointe – ich fand die Kiste abermals zufällig verwaist vor der Haustüre vor. Die Hälfte des Gemüses stammte aus Spanien, die Hälfte des Obstes aus anderen fremden Landen. Jedes Rezept enthielt mindestens ein Milchprodukt. Und auch wenn ich die Idee der Gemüsekiste von Herzen liebe, jede der 24 Wochen trotz des merkwürdigen Geschäftsgebarens wirklich genossen habe und fest davon überzeugt war, dass Gemüsekisten-Man und ich uns schon irgendwann zusammenraufen würden, so fürchte ich: Das wird nichts mit uns.
Es wird Zeit, sich von Gemüsekisten-Man zu trennen.
12:28h
Textzicke sagt:
Ich habe Tränen gelacht. Wunderbar pointiert geschrieben.
Großes Gemüsekisten-Kino!
:D
12:30h
isabo sagt:
Wie schade! Ich liebe meinen Gemüsemän. Er ist immer nett und freundlich und immer zu einem Schwätzchen aufgelegt und er ruft immer in die Gegensprechanlage: "Die Vitamine sind da!" Und natürlich trägt er klaglos alles in den zweiten Stock. Die Rezepte allerdings benutze ich auch selten, meistens google ich mir selbst was.
12:37h
angela sagt:
Ich bewundere Ihre Geduld. Beim nächsten Mal stelle ich die Kiste irgendwo zwischen Haustür und dem Arbeitsplatz irgendeines Nachbarn ab. :)
Wunderbares Blog, geistig wie optisch.
13:56h
Haiku sagt:
Mein Gemüsekistenmann hat noch nie geklingelt. Kein einziges Mal. Ich hasse diesen gesichtslosen Mann trotzdem. Alleins schon wegen der Massen an roter Bete oder den blöden, sauren, heimischen Äpfeln, die der mir seit einem Jahr andrehen und die ich immer und immer wieder Mutter Gaia widme. Inzwischen betrachte ich die Gemüsekiste eher als eine Art Spende und reg mich nicht mehr ganz so auf.
14:00h
Haiku sagt:
Andererseits hätte ich mehr rote Bete gegessen, würde ich jetzt weniger Rechtschreibfehler machen. Ein Hoch auf das Gemüse!
15:13h
Frank sagt:
Ganz großartig!
16:52h
fragmente sagt:
Ich verfolge schon seit einiger Zeit mit Interesse die Bilder Ihrer Gemüsekiste. Nach meinem Verständnis war der Anteil an sehr kostengünstigem Gemüse/Obst immer sehr hoch.
Und obwohl ich selbst so gar nicht öko bin: spanische Erdbeeren? Geht gar nicht.
Was man so hört, soll die Qualität von Bio/Gemüsekisten sehr unterschiedlich sein. Ich glaube, die Entscheidung für einen anderen Anbieter ist goldrichtig.
(Großartig geschrieben. Dank fürs teilen.)
18:08h
stadtnarr sagt:
Wunderbar geschrieben. Auf zum nächsten Gemüsekistenmenschen.
20:24h
Wortschätzchen sagt:
Des einen Leid, ist des anderen Freud. Ich habe Tränen gelacht. Großartig. Ich wäre schon längst verbal entglitten, glaube ich.
20:27h
Kiki sagt:
Ich habe Tränen gelacht, wirklich wahr! Und chapeau ob Deines Langmuts – ich hätte ihm die Kiste schon vor Wochen um die Ohren gehauen und mir sowas von Auszeit in seinem Laden genommen, coram publicum, da hätte man noch drei Postleitzahlen weiter noch was von gehabt!
Ich hasse Überraschungen und kaufe lieber selbst gern mein Obst und Gemüse ein, beschließe spontan etwas zu kochen und lasse mich inspirieren. Insofern wäre das nix für mich. Aber dafür habe ich keine so schönen Geschichten zu erzählen. (Nur über Pfandflaschenwoman, aber das ist was anderes.)
20:50h
Isabell sagt:
Ich kaufe mein Obst und Gemüse immer frisch vom Bauern ums Eck.Das wird morgens in aller Herrgotts Frühe geerntet und am Vormittag gegen einen geringen Geldbetrag eingetauscht.Hühner und Kühe haben hier noch Namen.Rezepte und der neuste Klatsch sind inklusive und gehören zum Guten Ton :-)
Erdbeeren haben wir hier auch.Vollkommen biologisch, garantiert regional (weil vom Bauern ausm Nachbardorf) und so unglaublich lecker….
In Österreich kann man eben nicht nur gut Skifahren ;-)
20:51h
Isabell sagt:
Gramatik und Rechtschreibfehler bitte ich zu entschuldigen. Guten Wein gibs hier übrigens auch :)
20:59h
Huck sagt:
Wieso man da Tränen lachen kann ist mir schleierhaft. Ich hätte den Gemüsekistenmann nach 20 Minuten in die Saftzentrifuge geschmissen und auf 7.000 U/min gedrückt.
Ich würd Dir ja unseren Gemüsekistenmann vorbeischicken, aber der kommt ja auch nicht aus der Hood hier raus. Und nächste Woche verleihe ich Dir den Herzileinpreis für ultramäßigen Dalailamalangmut am goldenen Hosenmatz.
(Und jetzt muss ich da unten nur noch die total supidupi Captcha-Frage "Wer schrieb Goethes Faust?" beantworten. Jetzt wird’s eng!)
21:04h
westernworld sagt:
kein mitleid, selber schuld oder haben sie einen langfristige abnahmeverpflichtung unterschrieben?
ich haße dieses rumgejammere von larmoyanten bürgerkindern die nicht mal die eier haben dem gemüsekistenheini zu sagen das wenn das seine kundschschaft so wolle sie nicht seine kundschaft seinen und er seine zeug behalten könne. der abgang durch wünschen eines angenehmen autounfalls ist optional.
22:44h
serotonic sagt:
Hihi. Ihr seid ja sowasvon reizend!
Isa, ich muss dir auch immer neidisch ins Blog gucken, wenn du über deinen Gemüsemän schreibst. Der soll sich mal nach hier ablegen.
Haiku, auch noch ein gesichtsloser Nichtklingler! Du musst wahrlich die Mutter allen Langmuts sein.
fragmente, ich denke auch. Im Zweifelsfall unterstütze ich lieber einen der vielen Hofläden hier in der Nähe, selbst wenn die auch beim Großmarkt einkaufen. (Dankeschön. Und: Es ist mir ein Vergnügen!)
Kiki, ich unterschlug gelegentlichen Unflat meinerseits aus rein stilistischen Gründen, man möge mir verzeihen ;)
Ich liebe diese Überraschungen, sie brechen mein gewohnheitsmäßiges Einkaufs- und Essverhalten auf. (Was Anderes ist übrigens super.)
Isabell, Sie Glückliche! Nein wirklich, ich gönne es Ihnen von Herzen.
Huck, RIESENRÜHRUNGSHEULI!
westernworld, machen Sie sich doch bitte keine Sorgen um meine Eier.
13:30h
hühnerschreck sagt:
oh herrjemine. das ist ja kein gemüseabo, sondern ein abo auf millIOOOOOnen karmapunkte bei so viel langmut Ihrerseits!
und westernworld hat sicher nur ne besonders meise gemüsekiste erwischt *kichernd ab*
01:02h
Etosha sagt:
*kicher* Blendend helles Sendungsbewusstsein!
09:48h
Christoph Raffelt sagt:
Noch so ein Old-School-Bioladen wo man tendenziell immer schlecht behandelt wird und das Personal wahnsinnig langsam arbeitet? Ich hatte so ein Abo auch mal, habe es dann aber wegen der gleichen Klingelgeschichte irgendwann aufgegeben. Ausserdem fand ich den Inhalt des Abos irgendwann etwas langweilig und lieblos zusammengestellt.