Die Dinge beim Namen nennen.
Als ich gestern las, dass der MDR Sachsen titelte: „Beziehungsdrama in #BadMuskau: Mann übergießt Frau mit brennbarer Flüssigkeit, um sie anzuzünden“, war ich nicht mehr nur genervt, sondern wütend. Wenn man sich die Replys anguckt, war ich damit nicht allein, denn der MDR wurde mehr als hinreichend darüber aufgeklärt, dass versuchter Mord kein Beziehungsdrama ist. Ich schaute am Abend nochmal vorbei, weil ich mir eine Richtigstellung erhofft hatte. Es gab keine. Und dann fiel mir einmal wieder ein, dass auch ich etwas richtigzustellen habe.
Als ich vor Jahren ins Internet schrieb „Meinen ersten Sex hatte ich nicht viel später, weil mein Freund meinen Wunsch, nicht weiter zu gehen, ignorierte und sich kurzerhand nahm, was er wollte“, habe ich den gleichen Mechanismus bedient, wie der MDR heute — und zwar aus Scham. Ich mein, wer stellt sich schon gern hin und sagt: „Hallo Mama, hallo Chef, hallo Yogaschüler und entfernt Bekannte, nur damit ihr es wisst: Ich wurde vergewaltigt“?
Es ist interessant, wie tief sich Scham und Furcht in Deine Gedankenwelt graben, wenn Du sexuelle Gewalt erlebt hast. Wie viel Überwindung mich diese Zeilen jetzt kosten — wohingegen ich nicht einmal mit der Wimper zucken würde, Gott und der Welt zu erzählen, wenn mir irgendein Verrückter auf der Straße die Nase gebrochen hätte. Aber Vergewaltigungen passieren meist untenrum. Da spricht man nicht so einfach drüber.
Und das kommt auch nicht von ungefähr. Frauen, die von ihren Erfahrungen berichten, müssen oft durch weitere Höllen gehen. Ihnen wird nicht geglaubt, sie werden für selbst-schuldig gehalten, in ihre Einzelteile zerlegt, auf ihre Opferrolle reduziert, bedroht und ins Zentrum vernichtender Diskussionen gestellt. Die Tat, der Täter — sie beide werden zur Marginalie. Als ich damals darüber sprach, online gestalkt zu werden, dauerte es nur wenige Stunden, bis mich die erste, sehr detaillierte Gewaltandrohung erreichte. Die darauffolgenden Wochen wurden zum Spießrutenlauf.
Und wenn ich jetzt eingangs erwähnten Satz richtigstelle, muss ich damit rechnen, dass fortan alles, was ich sage oder schreibe oder tue, in diesen Kontext gesetzt wird. Aber well, so sei es. Das hier ist zur Notwendigkeit für mich geworden. Ich möchte nicht länger eine Tat verharmlosen, die letztendlich mein ganzes Leben beeinflusst hat. Es ist mir schlicht unmöglich, on-mat weiterhin von persönlicher Integrität und Wahrhaftigkeit zu faseln, während ich online derart gigantischen Bullshit unkommentiert lasse. Die letzten Monate und Jahre lassen mich hoffen, dass wir auch gerade als Gesellschaft beginnen, mit Furcht, Scham und Schuld aufzuräumen — um langsam, Stück für Stück, unseren Fokus zu verschieben und die Dinge endlich beim Namen nennen.
Mein erster Freund hat mich vergewaltigt. Und das hatte exakt so viel mit Sex zu tun, wie ein Mordversuch mit einem Beziehungsdrama.