Serien & Filme,  Tagebuch

Traurig, Weltvegantag und Afflicted

Traurig. Facebook erinnert mich nun das zweite Jahr mit freundlichen Hinweisen an den Niedergang des Katz. Nicht, dass das nötig wäre, mein Herz blutet immer noch wie am ersten Tag, aber jedes Jahr aufs Neue zusehen zu müssen, wie er immer dünner und struppiger und weniger wird … Ich weiß ja nicht. (#imisseshim #ohsomuch)

Weltvegantag. Zum Weltvegantag begrüßte mich meine Twittertimeline mit Protestmettbrötchen und Trotzsteaks. Es gibt wenig, das mich so enttäuscht wie dieses kindische Kackverhalten sonst sehr erwachsener, kluger Menschen; es fällt mir wirklich ungemein schwer, da in meiner Mitte, liebevoll und ruhig zu bleiben. Klar, ich finde die „Go vegan!“-Parole auch nicht gerade glücklich, ein Imperativ ist selten ein gelungener Einstieg für ein Gespräch auf Augenhöhe, aber zeig mir bitte den Stadionwurstverfechter, der bei „Wenn Sie bitte in Erwägung ziehen würden, sich die groteske Scheiße anzusehen, die Menschen anderen Lebewesen antun, und welche Konsequenzen das für die Umwelt und unser aller Zukunft hat? Und wenn Sie darüber hinaus vielleicht sogar so freundlich wären, ein klein bisschen mitzuhelfen und ein paar einfache Maßnahmen für sich selbst ergreifen?“ nicht schon vor Ende der ersten Frage eingeschlafen ist. Vielleicht machen die bei Edgar’s Mission da etwas sehr richtig, indem sie immer wieder fragen:

If we could live happy and healthy lives without harming others… why wouldn’t we?

Und seien wir doch mal ehrlich: So gehören ja wohl Schweineohren!

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Afflicted auf Netflix. Wenn man schon krank und voller Selbstmitleid auf der Couch lümmelt, was könnte da besser passen als eine Doku über chronische Krankheiten? Afflicted beschäftigt sich mit unsichtbaren Erkrankungen und begleitet mehrere Personen bei ihrer Suche nach Linderung und Heilung. Das hätte richtig, richtig gut werden können, wenn die Doku nicht ständig mehr oder weniger unterschwellig die Frage aufgeworfen hätte, ob es nicht vielleicht sein könnte, dass diese Personen einfach nur ein bisschen gaga sind.

Ich habe mit Hashimoto selbst das Vergnügen einer Autoimmunerkrankung und hörte schon häufig von Ärzten Sätze wie „Was Sie da haben, gibt es nicht“ oder „Ich weiß nicht, was ich mit Ihnen machen soll“, und gleichwohl meine Einschränkungen im Vergleich absolute, fast lächerliche Peanuts sind, habe ich eine Vorstellung davon, wie der Erfahrungshorizont der Teilnehmer an dieser Doku aussehen mag. Dass ich trotzdem in so ziemlich jeder Folge dachte „das ist doch gespielt“ oder „das bildet sie sich doch ein“ oder „naja, der Geist ist mächtig“, sagt eine Menge über a) mich selbst, b) meine gesellschaftliche Prägung und c) die Intention der Serie aus.

Und tatsächlich bekommt man den Eindruck, dass diese Menschen ihr Heil vorzugsweise bei Quacksalbern Naturheilkundlern sowie in alternativmedizinischen Ansätzen suchen und all ihr Geld (und das ihrer Lieben) in Nahrungsergänzungsmittel und fragwürdige Therapiemethoden stecken. Ein Umstand, den einige Teilnehmer*innen selbst scharf kritisieren. Netflix muss sich zurecht fragen lassen, ob hier nicht bewusst ein Narrativ geschaffen wurde, das sich gut verkaufen lässt — anstatt die Chance zu nutzen und Menschen ernst zu nehmen, die an chronischen Krankheiten leiden.

Exkurs: Im Yoga-Kreisen ist es sehr üblich, geradezu reflexhaft davon zu sprechen, dass Krankheiten oder Verletzungen Botschaften unserer Seele an uns selbst sind, und dass wir aus bestimmten Gründen erkranken (die Krankheit sozusagen zu uns rufen), um Themen aufzulösen. Ich halte diesen Ansatz für gefährlich, weil er dazu verleitet, den Grund einer Erkrankung im Lebenswandel des oder gar im Menschen selbst zu suchen und so eine Art Schuldfrage ins Spiel zu bringen (was in der Regel das Letzte ist, was ein chronisch kranker Mensch braucht).

Als sich beispielsweise vor ein paar Jahren ein chronisches Schmerzsyndrom in meinen Händen manifestierte, bin ich fast ertrunken in Freizeitdiagnosen, die mir alle sagten, dass ich irgendwie falsch sei. („Oh, es ist deine linke Hand, das steht für Deine männliche Seite! Sie möchte Dir sagen, dass sie überstrapaziert ist und Du lernen musst, Deine Weiblichkeit zu leben.“) Ich hingegen möchte nicht wissen, wie man sich fühlt, wenn man ernsthaft erkrankt ist und mit derartigen laienpsychologischen Bewertungen so wunderbar achtsam erschlagen wird.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich halte es für absolut sinnvoll, über den bloßen Körper hinauszuschauen. Den ganzen esoterischen Quatsch mache ich ja nicht aus Zufall. Von all meinen Zipperlein habe ich tatsächlich eine Menge mitnehmen können — wofür es allerdings überhaupt nicht nötig war, in der Symbolkraft gottgesandter Körperbotschaften herumzustochern, sondern mich schlicht zu fragen: Was gibt es hier zu lernen?