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An die politisch eher uninteressierten Leser dieser Zeilen: Hiergeblieben. Nur ein Momentchen, zumindest – ich hätte da nämlich ausnahmsweise mal ein wichtiges Anliegen. Dauert auch wirklich nicht lang.
Die meisten werden schon mitbekommen haben, dass ein Gesetz zur Sperrung von Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten erlassen werden soll. Weitere werden vielleicht auch schon von einer Petition gegen dieses Gesetzesvorhaben gehört haben. Und wieder einige werden den Kopf schütteln und sich fragen, wie um Himmels willen man so eine Petition unterstützen kann.
Ich fasse das jetzt einmal ganz fürchterlich knapp zusammen, für die Eiligen unter uns. Weiter unten findet die werte Leserschaft Links, die die passenden Hintergründe liefern. Und natürlich meine Bitte, diese Petition ebenfalls mitzuzeichnen – auch wenn Sie sonst an so etwas eher nicht teilnehmen.
Die Argumente:
- Die hauptsächlichen Vertriebswege für Kinderpornografie sind nicht – wie vielfach suggeriert – gewinnträchtige Internetseiten (das sogenannte „Milliardengeschäft“ und der „Massenmarkt“). Fotos und Videos werden vielmehr per Post, im Usenet, in Foren, Chats, E-Mail und MMS getauscht oder über verschlüsselte Anzeigen in Zeitschriften vermarktet.
- Die Sperrung der Internetseiten soll mittels einer Filterliste erfolgen, die Aufrufe einer Seite mit kinderpornografischen Inhalten auf ein Stopp-Schild umleitet. Die kinderpornografischen Inhalte werden nicht gelöscht, sondern lediglich mit einem Sichtschutz abgeschirmt. Auch Seiten, die mittelbar* auf Seiten mit kinderpornografischen Inhalten verweisen, sollen ebenfalls auf diese Liste gesetzt werden.
- Die Filterliste soll allein durch das BKA erstellt werden. Das ist insofern kritisch zu sehen, als dass keine richterliche Instanz zwischengeschaltet ist, die prüft, ob die zu sperrenden Internetseiten den Tatbestand erfüllen und eine Sperrung überhaupt rechtmäßig ist.
- Gelangt man auf eine gefilterte Seite, so wird der Zugriff protokolliert und an das BKA übermittelt. Dabei wird kein Unterschied gemacht, ob man bewusst auf diese Seite gelangte, oder versehentlich – durch eine Spam-Mail oder den Aufruf einer Kurz-URL zum Beispiel.
Und was bedeutet das jetzt?
- Das Gesetz berührt die hauptsächlichen Verbreitungswege von Kinderpornografie nicht, lenkt aber das Augenmerk auf einen publikumswirksamen Nebenschauplatz und ist damit als rein populistische Maßnahme einzustufen.
- Technische Sperren können umgangen werden. Die jetzige Variante ist vielleicht noch leicht von Jedermann zu umgehen, eine spätere Variante wird schwerer zu umgehen sein. Fest steht aber: Wer sie umgehen will, der umgeht sie auch. Sinnvoll ist somit nur eine Abschaltung der betreffenden Seiten. Was nicht mehr da ist, kann auch nicht mehr aufgerufen werden.
- Eine Verwaltung der Filterliste allein durch das BKA bedeutet, dass die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt wird und eine Überprüfung der Liste nicht möglich ist. Dadurch besteht die Gefahr, dass Präsenzen unrechtmäßig auf der Sperrliste landen – wie es in den Ländern, die solche Sperrlisten bereits einsetzen, auch schon geschehen ist.
- Man läuft – auch als „unbescholtener Surfer“ – Gefahr, verdächtigt zu werden, eine Straftat begangen zu haben und plötzlich Gegenstand polizeilicher Ermittlungen zu sein.
Derartige Filtermechanismen greifen direkt in die Informationsinfrastruktur ein und haben alleine aus diesem Grund das Potential, als Zensurinstrument eingesetzt zu werden. Die Gefahr, dass Index-Kriterien nach und nach ausgeweitet werden, ist real – es wurden bereits Forderungen seitens Rechteverwerterindustrie und Politik laut. Und was noch dazu kommt: Mit diesem Gesetz wird keinem Kind geholfen. Ganz im Gegenteil.
– Bitte zeichnen Sie mit –
Weitere Informationen:
- Interview: Missbrauchsopfer kämpfen gegen Netzsperren (Zeit online)
- Artikel: Kinderporno-Sperren: "An Populismus kaum zu überbieten" (heise online)
- Artikel (auto-übersetzt): Seite gegen Kinderpornos in Belgien zensiert (indymedia.be)
- Parabel: Eine kurze Parabel vom Mehl. (UnPolitik.de)
- Artikel: Noch mal in Ruhe, für alle Politiker (Blog Don Dahlmann)
- Hintergrundtext: Kinderpornographie & Internet-Sperren (Blog netzpolitik.org)
- Artikel: Warum es um Zensur geht (Blog Jens Scholz)
- Artikel: Internet-Sperren: Politik, Populismus und Kinderporno (Spiegel online)
Ergänzungen:
* Was „mittelbar“ für jeden bedeuten kann, der im Internet schreibt und Links auf „ganz normale Internetseiten“ setzt, erklärt das Datenschutzblog. (Danke an Sven für den Hinweis.)
16:11h
Garvin sagt:
Gute Zusammenfassung. Deine Schrift in Bürgers’ Hirn.
17:29h
jamie sagt:
!
17:34h
Goajunkie sagt:
Danke für die gute Zusammenfassung.
17:42h
Sven sagt:
Sehr schön. Vielleicht solltest du noch erwähnen, dass nicht nur KiPo-Inhalte gestoppt werden sollen sondern auch "mittelbar" dahin führende (worunter dann z.B. Wikileaks gehören müsste, weil die die Dänische Sperrliste haben, über die man dann wiederum auf entsprechende Server kommen könnte)
18:01h
serotonic sagt:
Sven:
Ich hatte es auf meiner Liste (mit vielen weiteren Punkten), aber dann bewusst aus dem Haupttext heraus ausgelassen – das Thema ist schon so zu komplex für eine schnell zu lesende Zusammenfassung. Aber du hast Recht, der Aspekt ist zu wichtig, um ihn unter den Tisch fallen zu lassen. Ist somit ergänzt, merci!
18:21h
Sven sagt:
Ich finde, dass eben dieser Aspekt grade wichtig ist, weil er meiner Erfahrung nach bei "Offlinern" der Kernpunkt ist, durch den sie dann auch verstehen, warum es tatsächlich Zensur ist und warum es gefährlich ist. Denn das entkräftet am konkretesten das Totschlagargument "Aber warum sollte man verhindern, dass KiPo-Seiten gesperrt werden?" - "Weil eben nicht nur KiPo-Seiten gesperrt werden sollen" - das hat dann sogar mein 68-jähriger Vermieter geschnallt.
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